Wie wir morgen stilvoll sterben
05-2019 – National Geographic Magazin
„Menschen haben schon immer besondere Ideen entwickelt, um ihre Toten zu ehren: die Pyramiden in Ägypten, die Mausoleen der Goten, der Tadsch Mahal in Indien. Was manche Trauernde für angemessen halten, finden andere makaber.“
Die „Totenfotografie” etwa war im 19. Jahrhundert in Europa und Amerika populär: Man richtete Verstorbene für Porträts her, ihre Pose sollte dabei möglichst aufrecht sein und lebendig aussehen. Nach dem tibetanisch-buddhistischen Ritus der „Himmelsbestattung” oder bya gator (,,Almosen für die Vögel”) werden sterbliche Überreste ausgelegt, damit Geier sie vertilgen können. Wie Menschen sich die Ehrung der Verstorbenen vorstellen, hängt von vielen Faktoren ab: von Kultur, Tradition, Geografie und Religion. Welche Alternativen ihnen aber tatsächlich zur Verfügung stehen, hängt auch von den technischen Möglichkeiten ab.
ZWISCHEN TECHNOLOGIE UND TOD gibt es mehr Schnittstellen, als man vermuten würde. Gerade heute im 21. Jahrhundert tüfteln schlaue Köpfe an ganz neuen Formen der Erinnerung: digitale Grabmäler in sozialen Medien, umweltfreundliche grüne Bestattungsformen, sogar interaktive Grabsteine gibt es inzwischen.
Und oft steckt knallharte Wissenschaft hinter diesen modernen Erinnerungsformen. Die Technik ist heute so weit, dass sie die gewaltigen geologischen Kräfte unseres Planeten nachahmen kann – und so die sterblichen Überreste unserer Lieben in Diamanten verwandelt. Echte Diamanten.
Gleich mehrere Unternehmen weltweit bieten trauernden Familien diese Dienstleistung an, mit der Hinterbliebene ihrer Angehörigen so dauerhaft wie nur möglich gedenken können. Eine davon ist die Schweizer Firma Algordanza. Das Unternehmen nutzt Hightech-Maschinen aus der Schwerindustrie: Damit können Ingenieure den Kohlenstoff aus der Kremationsasche von Menschen zu Diamanten formen. Ein geologischer Prozess, der normalerweise Hunderte Jahrmillionen dauert – und den die Experten in wenigen Wochen ablaufen lassen.
DAS GANZE FUNKTIONIERT SO: Nach der Einäscherung schicken die Angehörigen ein halbes Kilo Asche an das Algordanza-Labor in der Schweiz. Daraus gewinnen Wissenschaftler die reinen Kohlenstoffelemente – die übrig gebliebene Asche wird zurückgeschickt, Verunreinigungen werden beseitigt. Bei der Herstellung der Diamanten bedient man sich dann der gleichen Mittel wie Mutter Natur: Hitze und Druck.
Die Kohlenstoffasche wird anschließend in Grafit umgewandelt, eine stabile Form des Kohlenstoffs, in der die Atome dicht gedrängt in flachen Schichten angeordnet sind. Dann kommt der Kohlenstoff längere Zeit in Hochdruck-Hochtemperaturmaschinen (HPHT-Verfahren). Darin herrschen Temperaturen von mehr als 1300 Grad. Zum Vergleich: Eisen schmilzt bei 1200 Grad.
Gleichzeitig kommen noch andere Kräfte ins Spiel. In der HPHT-Maschine übt ein System aus hydraulischen Pressen auf das Grafit einen Druck von mehr als 60000 Bar aus. Unter solchen Bedingungen verändert sich allmählich die Molekülstruktur – und schließlich wird der Kohlenstoff zu einem reinen Diamanten.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Solche Steine sind natürlichen Diamanten nicht nur ähnlich. Sie gleichen ihnen bis auf die Ebene der Atome. Den neu entstandenen Edelstein kann man im Rohzustand belassen, oder die Spezialisten schleifen und polieren ihn.